Freundin in der Krise Akzeptiere deine Hilflosigkeit und brich das verletzende Schweigen!

Freund:in in der Krise: Akzeptiere deine Hilflosigkeit und brich das verletzende Schweigen!

Warum fällt es uns Menschen oft so schwer, anderen Menschen, die gerade eine harte Zeit durchmachen, einfach beizustehen und ihnen unsere Unterstützung anzubieten, ohne es an die Bedingung zu knüpfen, dass die andere Person einfach mal eben darüber hinwegkommen soll?

Warum fällt es uns so schwer, der anderen Person einfach zu sagen “Ich bin hilflos und weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, aber ich will dir sagen, dass ich für dich da bin.”?

Und warum schreibe ich überhaupt diesen Beitrag?

Ganz einfach: Weil ich gerade erst wieder eine solche Situation erlebt habe und mich getraut habe, meine Unsicherheit anzusprechen und finde, dass wir das häufiger tun sollten. Und vielleicht inspiriert dich ja mein Beitrag dazu, in Zukunft deine eigene Hilflosigkeit hinten anzustellen und für die Menschen da zu sein, die dich gerade brauchen, ohne dass du alle Antworten für sie hast oder eine Erwartung an sie stellst.

Denn das ist etwas, was wir mehr denn je heute brauchen und tun sollten.

Aber  mal von vorne… Was ist eigentlich passiert?

Die Vorgeschichte

Es geht um meine Freundin Isabel (Name geändert), die ich seit der Oberstufe kenne und mit der ich kaum noch Kontakt habe. Wir haben eine gemeinsame Freundin, Meike (Name ebenfalls geändert), die außerdem auch Isabels Cousine ist. Mit Meike habe ich noch etwas mehr Kontakt und anlässlich meiner Geburtstagsfeier war sie letztens bei mir.

Ich fragte Meike irgendwann, wie es Isabel geht, da ich wusste, dass sie noch im engen Kontakt stehen. Sie deutete eine große “Krise” an, da Isabel und ihr Mann sich vor einiger Zeit getrennt haben und sich nun ständig hin- und her verklagen. Sie wollte aber nicht in großer Runde erzählen, was genau los ist, so dass ich sie später um ein Vier-Augen-Gespräch bat.

In diesem vertraulichen Gespräch erzählte sie mir, dass der Noch-Ehemann von Isabel wohl dafür gesorgt hatte, dass sich ein erwachsener Mann an ihrer gemeinsamen Tochter vergehen durfte.

Ich war fassungslos und zutiefst geschockt! Und zwar so sehr, dass es mich die ganze Zeit im Kopf weiter verfolgte.

Ich fragte mich, ob ich Isabel wohl schreiben solle, um ihr zu sagen “Hey, wir haben zwar nicht mehr viel Kontakt, aber ich weiß, was passiert bin und bin gerne für dich da.” Ich wollte ihr einfach zeigen, dass es mir nicht egal war, egal wie wenig Kontakt wir zuletzt gehabt hatten.

Mein Mann riet mir, erst einmal Meike um Rat und ihre Einschätzung zu fragen, ob Isabel das überhaupt recht wäre. Ich überlegte erstmal weiter und schlief noch eine Nacht drüber.

Am nächsten Tag dachte ich: “Was für ein Quatsch! Wenn ICH in der Situation wie Isabel wäre, würde ich wollen, dass die Leute sich melden, um mir zu sagen, dass sie an mich denken. Ich würde wollen, dass sie sich trauen, mir zu schreiben statt es einfach zu ignorieren.” Denn Schweigen verletzt mehr als gar nichts zu tun.

Also schrieb ich ihr…

Meine Nachricht an Isabel: Das verletzende Schweigen brechen

Liebe Isabel,

Gestern habe ich meinen Geburtstag nachgefeiert und Meike war auch da. Im Laufe des Abends hat sie mir im Vertrauen unter vier Augen erzählt, was passiert ist.

Ich war mir unsicher, ob ich mich bei dir melden soll, weil ich auch nicht weiß, ob es dir recht ist, dass Meike es erzählt hat. Aber ich kann nicht hier sitzen und es ignorieren, während ich die ganze Zeit daran denken muss und dich so gerne, und wenn es nur gedanklich und moralisch ist, unterstützen möchte. Denn auch wenn wir nicht mehr viel Kontakt haben, bist du mir nicht egal und schon gar nicht, was vorgefallen ist! Deswegen dachte ich mir, ich schreib dir einfach…

Ich möchte dir erstmal sagen, dass ich unfassbar schockiert bin und mir nur ansatzweise vorstellen kann, wie es dir gerade geht. Ich fühle mit dir und deinen Kindern und wünsche euch, dass ihr die nötige Kraft habt, um alles zu tun, um diese Situation zu bewältigen. 💖

Außerdem wollte ich dir sagen, dass ich für dich da bin, wenn du irgendwas brauchst, sei es ein offenes Ohr, eine Umarmung, ein paar Stunden Kinderbetreuung, damit du selbst mal verschnaufen kannst, ein Treffen mit unseren jeweiligen Familien, um einfach eine schöne Zeit miteinander zu verbringen und den Scheiß mal ein paar Stunden zu vergessen… Egal was es ist: Zögere nicht, mich zu fragen!

Ich bin gerne da, wenn du mich brauchst! 😘💖 Fühl dich ganz fest umarmt!!!

Eine Antwort ließ nicht lang auf sich warten:

Liebe Claire,
Danke.
Das bedeutet mir viel und ich würde mich freuen, dich und euch zu sehen und zu hören

Es ist so leicht, das Richtige zu tun

Was bin ich froh, dass ich mich getraut habe, Isabel zu schreiben! Ich bin grundsätzlich ein sehr ehrlicher Mensch und eine große Freundin davon, Dinge offen anzusprechen anstatt sie unter den Teppich zu kehren. Denn dadurch verschwinden sie ja nicht. Sie werden allerdings zum “Elefanten im Raum”, den niemand sehen will und der die Dinge unnötig kompliziert und unangenehm macht.

Denn das wirklich Unangenehme an solchen Situationen ist nicht unsere Hilflosigkeit, wegen der wir nicht wissen, wie wir reagieren sollen. Das wirklich Unangenehme ist, dass alle Seiten wissen, dass was im Busch ist, aber keiner will drüber reden, alle schweigen sich tot und das sorgt für Groll, Unverständnis und Distanz auf allen Seiten.

Denn ja: Etwas nicht anzusprechen, was offensichtlich ist – egal wie schmerzhaft es auch sein mag -, schafft Distanz. Es sorgt dafür, dass wir uns voneinander abwenden, den Bezug zueinander verlieren und die Verbindung zueinander zerstören.

Natürlich gibt es genug andere Gründe, weshalb Freundschaften auseinandergehen oder auch einfach versanden können. Aber das verletzende Schweigen aufrecht zu erhalten, nur um die eigene Hilflosigkeit zu verstecken, ist sicher einer der Hauptgründe für das Auseinanderbrechen von Freundschaften.

Ich habe es selber erlebt, dass viele Menschen nicht wussten, wie sie mit mir nach dem Tod meines Vaters umgehen sollten. Entweder wurden sinnlose Ratschläge gegeben wie “Das wird schon wieder. ” und “Das Leben geht weiter.”

Oder die Menschen haben das Thema ausgeschwiegen oder wollten schnell das Thema wechseln, wenn ich mal wieder davon anfing und meine Trauer ans Licht kam.

Ich sage  nicht, dass ich bei Freunden, die in ähnlichen Situationen waren, immer alles richtig gemacht habe. Auch ich habe in der Vergangenheit sicher einige Fehler gemacht und werde auch zukünftig welche machen.

Aber eine weitere tolle Bestätigung, dass es gut ist, einfach da zu sein, das Schweigen zu brechen und zuzuhören, gab mir eine andere Freundin vor einigen Monaten, als sie eine Trennung durchmachte. Die ersten Wochen waren natürlich für sie enorm hart und ich war einfach für sie da und hörte zu.

An einem Punkt, an dem sie erneut völlig in Tränen aufgelöst war, sagte sie: “Du machst genau all das, was man mit Trauernden machen soll: einfach da sein, zuhören und keine blöden Ratschläge geben.”

Mir geht es hier nicht darum, mich zu profilieren á la “Guck mal, wie toll ich das kann!”. Mir geht es hier darum zu zeigen, wie leicht es ist, das Richtige zu tun.

Was ist das Richtige, wenn ein:e Freund:in in der Krise ist?

Es gibt zwar mehrere Punkte, die ich ansprechen möchte, aber im Grunde ist es eine Sache, auf die es hinausläuft: Einfach da sein!

  • Wertfreies und aktives Zuhören: Wichtig dabei ist, wertfrei und aktiv mit ganzem Herzen und voller Konzentration zuzuhören.Und ich meine: RICHTIG zuhören! Die Person direkt anschauen, sie umarmen wenn nötig/sinnvoll, aber auch ihr einfach den Raum geben, das loszuwerden, was gerade gesagt werden will, ohne sie zu drängen, zu unterbrechen oder woanders hinzuschauen. Volle Präsenz!
  • Ratschläge weglassen: Dem schließt sich an, nicht gleich (bzw. am besten gar nicht) mit ungebeten und oft wenig hilfreichen Ratschlägen um die Ecke zu kommen. Menschen in schwierigen Situationen wollen nicht hören, was andere denken, was angeblich richtig oder jetzt sinnvoll ist. Sie wollen einfach nur gehört und gesehen werden, mit allem, was da ist.Besser ist es, gegebenenfalls Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Warum gegebenenfalls? Weil auch das schnell ausarten kann in “Ich finde, so wie du gerade bist, bist du nicht richtig. Daher frage dich doch mal, wie du wieder “normal” werden kannst.” Aber richtig eingesetzt, kann eine Frage wie “Was kannst du jetzt tun, um besser mit der Situation umzugehen?” oder “Was brauchst du jetzt?” den richtigen Impuls setzen, um aus der Dauerschleife der Traurigkeit und Hilflosigkeit rauszufinden.
  • Aushalten und Raum geben: Wir Menschen sind nicht gut darin, Schmerz zu ertragen, nicht bei uns und schon gar nicht bei anderen. Es bereitet uns tiefes Unbehagen, andere Menschen leiden zu sehen und wollen ihnen den Schmerz gerne nehmen.Das ist grundsätzlich sehr nobel gedacht, aber wenig hilfreich. Denn der Schmerz ist ja da, ob wir wollen oder nicht. Ihn klein zu reden ist abwertend der anderen Person gegenüber und ihn “wegmachen” zu wollen ist ohnehin nicht möglich und erst recht nicht sinnvoll.

    Besser ist es, die eigene Hilflosigkeit, die Situation für die Person nicht ändern zu können, akzeptieren zu lernen und auch diese anzusprechen. Einfach sagen “Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber ich bin für dich da.”

Warum wir unsere Hilflosigkeit akzeptieren und das verletzende Schweigen brechen sollten

Allzu oft ist die Angst da, das Falsche zu sagen. Und ganz oft ist sie nicht unberechtigt, denn wie schon erwähnt, sind vermeintlich motivierende und positive Ratschläge wie “Ach komm, das schafft du schon!” absolut kontraproduktiv.

Meiner Meinung nach ist aber zu schweigen und so zu tun, als gäbe es die Situation nicht, noch wesentlich schlimmer. Es gibt der betroffenen Person das Gefühl, nicht gesehen zu werden und mit all dem völlig alleine zu sein.

Indem ich Isabel gesagt habe “Ich weiß nicht, ob du von mir gerade hören willst, aber – hey – ich mache es einfach und reiche dir meine Hand.” habe ich überhaupt erstmal einen Raum eröffnet, in dem es möglich ist, sich zu begegnen.

Ich habe die (durch andere Faktoren entstandene) Distanz zwischen uns verkleinert und einen Schritt auf sie zu gemacht statt mich durch mein Schweigen noch weiter von ihr zu entfernen.

Und egal, ob wir uns dauerhaft wieder annähern und unsere Freundschaft wieder enger wird oder nicht: Es ist dadurch eine neue Art der Verbindung entstanden, die tiefer geht als vorher. Da ist  nun das Gefühl, dass wir auf besondere Art verbunden sind, egal wie viel oder wenig wir Kontakt haben.

Es ist einfach ein schönes Gefühl für mich, das zu wissen. Und ich weiß auch, dass sie im Fall der Fälle auch immer für mich da wäre. Das war nicht der Sinn meiner Nachricht an sie, denn so kalkuliert und berechnend (“Ich schreibe ihr jetzt, damit sie das später irgendwann wieder ausgleichen kann!”) bin ich nicht. Aber es ist ein sehr wohliges und beruhigendes Gefühl zu wissen, dass es Menschen da draußen gibt, auf die ich mich im Falle einer eigenen Krise verlassen kann, egal wie viel Kontakt vorher noch da war.

Und das ist es, was für mich den wahren Wert von Freundschaft ausmacht und ein tiefes, zufriedenstellendes Gefühl von Verbundenheit in mir hervorruft.

Das sollte es uns wert sein, unsere Hilflosigkeit über Bord zu werfen und einer Freundin/einem Freund in einer schwierigen Situation die Hand zu reichen, statt der Hilflosigkeit die Macht zu geben und sich durch das verletzende Schweigen noch mehr zu distanzieren.

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